Match

Heike Ander

In ihrer dreiteiligen Videoinstallation Match, 2000, (Farbe, Ton, 25 min) richtet Nevin Aladağ ihren und unseren Blick auf Hip Hop-Kultur, die als subkulturelle Ausdrucksform Ende der achtziger Jahre in den bundesrepublikanischen »Underground« eingebrochen ist. Hip Hop bildet in seinen unterschiedlichen Stilen und Positionen ein Feld der Gegenkultur, das inzwischen sowohl von der Musikindustrie vereinnahmt als auch vom akademischen Theoriediskurs (z.B. auf dem Gebiet der Cultural Studies) entdeckt und verarbeitet wurde. Dem medial geprägten, durch Videoclips omnipräsentem Bild setzt Nevin Aladağ einen dokumentarischen Blick entgegen, der vor allem das Soziale, das Integrative des Hip Hop und seine Funktion als kollektive Kommunikationsform in den Vordergrund rückt.


Auf Einladung der Künstlerin findet sich im Jugendzentrum Spax in Pasing eine Gruppe von Breakdancern und Rappern zusammen. Der Ort ist ihnen vertraut, da dieser auch häufig als ihr Trainingsraum fungiert, und – wie schnell deutlich wird – kennt man sich untereinander. Die Stimmung ist gelöst und ohne langes Zögern beginnt ein spielerischer Wettkampf vor der Kamera. Jeder zeigt, was er kann, man gibt ein wenig mit dem eigenen Können an, man macht sich gerne und häufig übereinander lustig und äfft sich nach. (Post-)Pubertäres Hierarchiegerangel auf dem Schulhof kommt einem in den Sinn, dessen Codes und Verhaltensmuster allen Außenstehenden verborgen bleibt. Die Kamera ist dabei jedoch gleichberechtigtes Gegenüber, das als fiktiver Spiegel dient oder kokett als Kontrahent begriffen und dementsprechend »angemacht« oder »angebattled« wird – gelegentlich auch ganz demonstrativ ignoriert wird.


Zu Beginn suggerieren uns die drei nebeneinander projizierten Kameraperspektiven noch einen strategischen Aufbau, der sich jedoch bald auflöst und sich selbst mitreißen läßt. Aus unterschiedlichen Blickwinkeln – von links, frontal und von rechts – zeigen die Videoprojektionen das Geschehen in der »Arena«: Die linke, zuerst statische Kamera nimmt eine leicht überhöhte Perspektive ein, die frontale, ebenfalls zuerst statische Kamera zeigt eine Totale, die rechte agiert von Beginn an als subjektive Handkamera. In langen Einstellungen, die den Eindruck von Echtzeit vermitteln, verfolgen wir die (Inter-)Aktionen der Gruppe. Die abwechselnd entspannten und angespannt konzentrierten Phasen in einer sich selbst entwickelnden Dramaturgie münden in einen Rap, der als seinen Gegenstand das unmittelbar Vorhandene nimmt, sein eigenes Erscheinungsfeld thematisiert, den Kontext beschreibt, die Beteiligten nennt und vor allem in einen Dialog mit der Kamera tritt. Wir befinden uns im Spax, heut’ ist der 11.01. ... Ich steh’ vor dir, ich seh’ dich an ... ‘n Unterhemd hab ich an ... ich bin Zoran ... jetzt komm’ ich mal näher und frag’ wer bist du?, du bist die Kamera – JVC – aber ich hab’ sowieso keinen Plan von Technik ... da ist der Andi ..., der checkt nicht, daß er einfach nur scratchen soll ... In die Mitten, in die Titten, oh mann, das wollt’ ich gar nicht sagen ... Hab keinen Bock zu Rappen, bin viel zu dicht, deshalb ist es meine Pflicht, das Mikro weiterzugeben an den Mann, an Alun, ich bin Zoran ... Dieser mimische, gestische und sprachliche Dialog mit der Kamera (und damit mit der Künstlerin selbst) ist es, der eine Verschiebung markiert. Das Aufzeichnungsmedium selbst wird sichtbar, die Konstruktion der Sichtweise und gerade deshalb wird es möglich einen nahezu authentischen Blick auf eine Situation zu werfen, die traditionellerweise nicht ohne Inszenierung auskommt.


Mit MATCH knüpft Nevin Aladağ an ihren 1999 gedrehten Videofilm Der Mann, der über seinen Schatten springen wollte an, in dem der eigene Schatten eines Breakdancers den Widerpart darstellt. Hip Hop stellt sich in Nevin Aladağs Videofilmen als buchstäblich alltägliche Ausdrucksform einer Community dar, die längst nicht mehr so homogen ist, wie sie vermeintlich in ihren Ursprüngen war. Bis Ende der siebziger Jahre blieb Hip Hop eine nahezu lokale Kulturform einer schwarzen, amerikanischen Minderheit, emanzipiert sich jedoch in den nächsten Jahren zu einer ethnienübergreifenden Ausdrucksform, die, statt auszugrenzen, viel eher integrative Qualitäten aufweist und statt dessen, wie es der Hamburger Journalist und DJ Günther Jacob beschreibt, alles zurückbrachte, »wovon man sich bis dahin getrennt hatte: Agitprop, ein pralles ‘unkorrektes’ Sprechen, Kollektivismus und überhaupt das verdrängte Soziale.«


Heike Ander, Februar 2000