Screen

Daniela Zyman

(for extended german version please see below)


Screen I–III, Nevin Aladağ’s intervention on Vienna’s Graben, temporarily lays claim to, and thus defines and defies, a bustling urban place. Three screens obstruct and disguise the commotion of the inner city and, with their stony presence, adorn the promenade like tapestries. Marking the boundaries of a space, drawing contours and axes within a field of movement regulated by shop windows and urban furniture, and mapping a place of engagement, the screens evade the everyday protocols.


Screens are, for Aladağ, many things. They signify a camouflage, veil, protective wall, grid, but also a projection surface. They are hybrid elements, which not only block out and shield but also disclose and represent. These Screens could also be read as descendants of the so-called Mashrabiyas, semitransparent ornamental walls that have been used in the Arab world for many centuries and have decisively contributed to the codification and geometrization of the gaze. Their most sophisticated forms attest to the systematic deconstruction and algorithmic generation of form and figure.


Cobble stones of Rauris marble and Waldviertel granite are inlaid and arranged in different ornamental configurations that keep both the pattern and the material in precarious suspense. Carefully selected to fit in with the pavement of Vienna’s city center, the stones quietly carry cultural-historical connotations, beckoning to their alternative uses as missiles, construction material for barricades, and proletarian weapons. Disentangling the architectonic elements of the screen and the stone block from their familiar functions, Aladağ releases hidden narratives and opens up spaces which stimulate action and engagements and turn into dispositives of story-telling.


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Screens sind für die Künstlerin Nevin Aladağ Tarnung, Paravent, Schleier, Schutzwand, Raster, aber auch Bildschirm und Projektionsfläche - also Hybride, die gleichermaßen verstellen und schützen, wie auch aufzeigen und abbilden. Das Besondere und besonders reizvolle an diesen Wand- und Architekturelementen ist, dass sie das was sie verschleiern aufgrund ihrer Durchlässigkeit betonen, also komplizieren. Das sich hinter der Schutzwand Befindliche ist nicht ausgelöscht, sondern als Schatten, als Silhouette, als Abdruck sichtbar und spürbar. Es ist präsent, wenn auch im Detail nicht ersichtlich. Es lässt ein Zugegensein, ein Erscheinen, eine Bewegung erkennen, ohne diese dem Blick preiszugeben.


Screens sind weitgehend die modernen Nachfahren jener semitransparenter Ornamentwände und Holzgitter, die im arabischen Raum, wohl seit dem 12. Jahrhundert Verwendung finden. Der Maschrabiyya leistet seinen eindrücklichen Beitrag zur Verschlüsselung und Geometisierung des Sehens. Durch sie wird der Blick nicht nur gebrochen, sondern heftet sich buchstäblich an das Raster des Bildschirms, dessen abstrakte Figuren sich dem Sehen einprägen. Für den Kunsthistoriker Hans Belting, sind sie „die Erinnerung einer Sehkultur, in welcher die Geometrie, im Dialog mit dem Licht, eine stärkere Präsenz besaß als die zufälligen Erscheinungen der Dinge.“[1] Die Blickregelung, die der Maschrabiyya administriert, ist nicht nur eine Schranke zwischen Privatem und Öffentlichem, sondern eine Verschlüsselung, eine Kodifizierung des Sinnlichen.


Aladağs drei Raumteiler am Wiener Graben bestimmen einen öffentlichen Ort, indem sie diesen für sich beanspruchen. Sie regeln die Grenzen des Raumes und markieren, maskieren und trennen. Wie Wandteppich zieren sie die Einkaufsstraße, verstellen und verblenden durch ihre steinerne Eindringlichkeit die innerstädtische Geschäftigkeit. Auch ziehen sie strenge Achsen durch ein Feld der Bewegung, das durch Schaufenster und urbanes Mobiliar geregelt ist. „Grenzen sind viele Dinge. Materiell, architektonisch, konstruiert, symbolisch, gefühlt, fiktional und erinnert, verkörpert, gelebt, immer schon dagewesen – immer zu erwarten. Und dennoch: Es beginnt immer mit dem Körper,“ schreibt die Theoretikerin Sandra Noeth. Grenzen bilden also nicht nur Trennungslinien und Einschnitte, sie laden zur Performativität, fordern gemeinschaftliches und individuelles Handeln, setzen Blickregime in Bewegung und verhandeln Zonen der Anwesenheit, die weder privat noch öffentlich sind.


Pflastersteine aus weißem und dunkelblauem Raurizer Marmor und Waldviertler Granitkomposit, scheinbar in Schwebe, in unterschiedliche Musterungen fixiert, und doch sichtlich in drei freistehende Edelstahlrahmen eingespannt, erzeugen in Aladağs Screens ein ornamentales Rauschen, das sowohl Ornament als auch den Stein verfremden und in Suspension versetzen. Der Natursteinquader, der heute noch das Wiener Stadtbild prägt, ist ein grob gebrochener, ungenauer Würfel, der einen unebenen, unzeitgemäßen aber charmanten Straßenbelag bildet. Ist der Gedanke an die oberösterreichischen Steinbrüche von Mauthausen und St. Georgen an der Gusen in den Jahren 1939-44 zulässig? An die Rolle von Granit als Folter- und Strafinstrument und an den lizenzierten Terror in den genannten Konzentrationslagern. Oder, dem Material auch eingeschrieben, seine lange Geschichte als Wurfgeschoss und Waffe im revolutionären Auftrag? Zum Bau der Pariser Barrikaden eingesetzt, wurden die Pflastersteine schon um 1870 zur Errichtung von Hindernissen auf Karren und Wägen gestapelt oder direkt dem Straßenbelag entnommen. Es galt jahrzehntelang als proletarische Waffe des Klassenkampfes schlechthin, belegt unter anderem durch Iwan Schadrs realsozialistischem Meisterwerk Pflastersteine sind die Waffen des Proletariats von 1927, zum 10. Jahrestag der Sowjetrevolution angefertigt und auch heute noch in höchsten Ehre gehalten. Bis dann die Studentenrevolution von Mai 68 den handlichen Stein für sich entdeckte und gegen das Establishment richtete. „Unter dem Pflaster, der Strand“ (sous les pavés, la plage) war einer ihrer Schlachtrufe, als die erregten KämpferInnen unter dem Pariser Bodenbelag die alten Pflastersteine des 19. Jahrhunderts vorfanden und diese vor Ort einzusetzen wussten.


Aladağs Vorliebe für Polivalenzen und Vielstimmigkeiten ist auch im wirkungsmächtigen Format des Öffentlichen oder gerade hier ersichtlich. Musterung und Wurfgeschoß, Orientalismen und Lokales, Verschleierung und Sichtbarmachung schreiben sich präzise ihrer Arbeit ein und lassen so einen öffentlichen Handlungsort entstehen, der eindeutigen Fixierungen widersteht. Indem sie sowohl die architektonischen Elemente der Screens als auch den Steinquader aus ihren gängigen Funktionalitäten löst, setzt sie Narrative und Bewegungsräume frei, die so zu Handlungen anregen und Dispositive des Erzählens werden.


Daniela Zyman, 2016



[1] Florenz und Bagdad: eine westöstliche Geschichte des Blicks. S. 281.