Berlin NEVIN ALADAĞ Jamming
In den Mittelpunkt ihrer Ausstellung Jamming hat
Nevin Aladağ eine ungehörte Stadt gerückt, ein
Berlin, wie es so noch nicht erklungen ist – mit der
Videoinstallation Jamming (2022), die der Schau
den Titel gibt und in der Schwartzschen Villa, einer
kommunalen Galerie im Berliner Stadtteil Steglitz,
Deutschlandpremiere hat. Auf drei Leinwänden lau-
fen Aufnahmen von Musikinstrumenten, die Aladağ
an diversen Stellen von Berlin platziert hat, und aus
drei Lautsprechern kommen jene Klänge, die Was-
ser, Wind und Erde diesen Instrumenten entlocken.
Tropfen einer Springbrunnenfontäne prasseln auf
das Fell einer Standtrommel. Ein Schellenkranz
scheppert über Kopfsteinpflaster. In einem Baum
hängend, jammert eine Ziehharmonika unter ihrem
Gewicht. Eine Querflöte, auf dem Dach eines Autos
befestigt, seufzt im Fahrtwind.
Aladağ hat Instrumente ausgewählt, die sie mit Berlin assoziiert. Neben Schellenkranz und Ziehhar- monika aus Weltmusik und Pop spielen Instrumente aus Sinfonieorchestern auf wie Querflöte, Klarinette und Posaune. So ist Jamming eine Hommage an den Lebensmittelpunkt der Künstlerin geworden, ohne je- doch dessen Geschichte zu beschönigen. In den Film- bildern, die sich sechs Minuten lang auf den Leinwän- den abwechseln, finden sich Gebäude aus Schinkelzeit, Wilhelminismus und den Nachwendejahren, ebenso die Gedenkstätte Berliner Mauer und die Gleise, auf denen Deportationszüge von Berlin in Konzentrati- onslager fuhren. Unter diese Aufnahmen legt sich der Sound aus Stadtgeräuschen und den zarten instrumen- talen Klängen – eine versöhnliche Melange.
Jamming, kuratiert von Galerieleiterin Christine Nippe, ist eine kleine Ausstellung. Nur zwei Zim- mer umfasst sie, führt jedoch dank einer genauen Auswahl anschaulich in das Werk der Künstlerin ein, die 1972 im osttürkischen Van geboren wurde, Bildhauerei in München bei Olaf Metzel studier- te und heute an großen Biennalen teilnimmt. Die neue Videoinstallation beispielsweise greift Bild- und Tonsprache Aladağs früherer Videoporträts von Stuttgart, Berlin und Istanbul auf. Auch wenn die Instrumente gewechselt haben, Gesang nicht mehr vorkommt, Hände und Tauben nicht mehr zu sehen sind, die Zahl der Kanäle sich mehrfach geändert hat, gehören die Arbeiten unverkennbar zusammen.
Im zweiten Zimmer dann finden sich Beispiele
für Aladağs jüngere Objekte. Gegenüber von zwei
Collagen aus ornamental geschnittenem Alumini-
um (Pattern Kinship) hängen Fan (2022) und Skylight
Spring (2021), auch sie kreisrunde Collagen. Sie
gehören zu der Reihe Social Fabric, gefertigt sind
sie aus Teppichstückchen. Mit schwarzen Rändern
voneinander abgesetzt, kommen hier Gewebtes
und Geknüpftes zusammen, Monochromes und
bunt Gestreiftes, Kariertes und floral Gemustertes,
aus Asien und Europa, aus Kunststoff und Wolle.
Die höchst unterschiedlichen Eigenschaften und
Herkünfte ergänzen sich zu einem harmonischen
Ganzen – zu abstrakten Allegorien eines geglückten
Miteinanders in globalisierten Gesellschaften.
Ganz neu sind die beiden Lampen aus der Rei-
he Color Floating, deren Exemplare sonst hängend
präsentiert werden, hier jedoch aus baulichen Grün-
den auf Stelen ruhen. Ihre Schirme hat Aladağ aus
Nylonstrümpfen geschaffen: den Schirm für au-
tumn 3 (2023) in gedeckten Herbstfarben, den für
spring 3 (2023) dagegen in frischem Pink und Grün
plus schwarzen Netzstrumpf. Die Werkgruppe der
Performances schließlich, in der sich das Interesse
der Künstlerin für Musik, Körper und Bewegung am
deutlichsten äußert, war bei der Eröffnung vertreten.
Ein schwarz gekleideter Tänzer führte Aladağs Body
Instruments vor, unter den Armen fächerförmige
Quetschkommoden, an den Beinen Chaps mit Glöckchen, auf dem Kopf einen Hut mit Handtrommel.
Das muss in den beschränkten Räumen der Schwartzschen Villa genügen. Platz ist weder für Pa- ravents noch Makramee-Gehänge, erst recht nicht für Aladağs Musikinstrumente aus Möbeln, wie 2021 in der Münchner Villa Stuck zu sehen, oder gar die großen skulpturalen Klangkörper. Künstlerin und Kuratorin haben sich daher eine Art dritten Raum ausgedacht: einen zwei Zentimeter dicken Block mit Postkarten. Sie zeigen Arbeiten im Stadtraum, weitere Objekte und Installationen sowie bestechende Nahaufnahmen. Letztere machen auf die grafische Qualität von Details und Aladağs präzisen Umgang mit Material aufmerksam, etwa bei den verschiedenfarbigen, sich akkurat kreuzenden Nylonstrümpfen und den gestochen scharfen Schattenwürfen der Aluminiumornamente. Vor allem aber lassen sich die Karten heraustrennen, ins Regal stellen oder in die Welt verschicken. Auf diesem Weg können die abgebildeten Arbeiten ganz beiläufig in jenes alltägliche Leben gelangen, aus dem Nevin Aladağ Klänge, Bilder und Material gewinnt.
(von Claudia Wahjudi, KUNSTFORUM International Bd. 294 März 2024)